[sge-liste] PRESSE:FR:Bei der Eintracht knirscht es an allen Ecken und Enden

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  • Date: Mon, 18 May 2020 17:49:20 +0200

NEUSTART

Bei der Eintracht knirscht es an allen Ecken und Enden
Ingo DurstewitzvonIngo Durstewitz
Welche Schlüsse die in Schieflage geratene Frankfurter Eintracht aus dem
misslichen Neustart nach der Corona-Zwangspause ziehen sollte.

Nach nur wenigen Spielminuten ging der selbsternannte Schöngeist Stefan
Ilsanker gleich mal mit so viel Verve in einen Zweikampf, dass die wenigen
Reporter auf der Tribüne in Frankfurt zusammenzuckten – durch das leere
Stadion war der Tritt gegen das Bein von Breel Embolo und der folgende
Aufschrei bis nach ganz oben zu hören. So ähnlich ging es weiter, der
Eintracht-Abräumer ist ja bekannt dafür, ohne Furcht in die Zweikämpfe zu
fegen, nach 70 Minuten und einem derben Tritt gegen das linke Bein von Jonas
Hofmann sah der Österreicher Gelb, vier Minuten später holte ihn Trainer Adi
Hütter vom Platz. Da stand es 0:3. Ilsankers Leistung war bis dahin denkbar
schlecht.


Es ist nun nicht so, dass der 31-Jährige nicht befähigt wäre, in der
Bundesliga mitzuhalten oder einer Mannschaft zu helfen, er hat 84
Erstligapartien auf dem Buckel, in der Champions League seinen Mann
gestanden, sein Kampfgeist und Willen sind unbestritten, auch seine
Fähigkeit, eine Mannschaft anzutreiben und zu pushen. Sehr viel besser wäre
es aber, der Salzburger wäre in ein Team eingebettet, in dem er seine
Tugenden als Ergänzung zu anderen Eigenschaften seiner Mitspieler zur
Geltung bringen könnte, also an der Seite von Akteuren, die eher über die
fußballerische Schiene kommen. Von denen gibt es im Eintracht-Ensemble
deutlich zu wenige.

Trainer Adi Hütter, eigentlich ein Offensivliebhaber, ist im Laufe der Zeit
dazu übergegangen, seine Mannschaft mit Spielern zu bestücken, die eher über
die rustikale, hemdsärmlige Schiene kommen. Kann man machen, wenn man damit
erfolgreich ist, problematisch wird es, wenn trotz insgesamt acht defensiver
Akteure keine Raumverdichtung und Engmaschigkeit, sondern Tag der offenen
Tür herrscht und Kevin Trapp in einer Schießbude der Liga steht. 13
Gegentore in den zurückliegenden vier Bundesligapartien sprechen eine klare
Sprache. Die durch die winterliche Systemumstellung erreichte Kompaktheit
ist längst wieder flöten gegangen und hat sich ins Gegenteil verkehrt.

Vielleicht wäre es angezeigt, Profis aufzubieten, die über die
fußballerische Komponente kommen. Viele Experten sind sich einig, dass
spielstarke Teams in der skurrilen Geisterspielatmosphäre einen Vorteil
haben. Das glaubt auch Eintracht-Verteidiger Martin Hinteregger. „Es fühlt
sich für jeden ein bisschen wie ein Trainingsspiel an, indem mehr riskiert
wird. Wenn mal ein Fehler passiert, spürt man nicht so den Druck vom
Publikum. So kommt das Spiel eher den spielerischen Mannschaften entgegen.“

Coach Hütter hält zudem auffälligerweise sehr lange an einzelnen Spielern
fest, neben Ilsanker gehören auch Djibril Sow, Almamy Touré, Evan Ndicka
oder Daichi Kamada zu den Akteuren, die sehr viel häufiger auflaufen als
andere. Das wäre kein Problem, wenn der Gegenwert, also die Leistung stimmen
würde, niemand beschwert sich, dass der über jeden Zweifel erhabene
Linksaußen Filip Kostic immer spielt.

Der Fußballlehrer schenkt Vertrauen, aber erhält es nicht zurück, was
natürlich keine böse Absicht der Auserkorenen ist, sondern mit der Formkurve
und dem grundsätzlichen Niveau der Spieler zu tun hat. Der Österreicher wäre
gut beraten, den Konkurrenzkampf nicht nur verbal zu schüren, sondern ihn
mit Leben zu füllen. Vor der Gladbach-Partie hatte der 50-Jährige mit der
Aussage aufhorchen lassen, dass sich herauskristallisieren werde, „dass
Spieler in Rollen schlüpfen werden, in der wir sie nicht erwartet hätten.“
Am Spieltag beließ er dann fast alles wie es vorher war. Da geht es dann
natürlich auch um Glaubwürdigkeit.

Außer Frage steht, dass der Trainer versucht, die schlagkräftigste Formation
aufs Feld zu schicken. Doch oftmals sind die Fußballlehrer gedanklich
festgefahren, halten an Spielern oder Systemen fest, weil sie der festen
Überzeugung sind, das Beste zu tun. In der Beinahe-Abstiegssaison 2015/16
weigerte sich der damalige Trainer Armin Veh strikt, sein Personal den
Gegebenheiten anzupassen, weil er sich ganz sicher war, die besten Spieler
zu nominieren und keinen Sinn darin erkennen konnte, einen qualitativ
niederwertigeren Akteur aufzustellen. Manchmal passen aber andere
Konstellationen besser zu besonderen Situationen.

Oder aber der Kader gibt schlichtweg nicht mehr her. Das ist im Frankfurter
Fall nicht so. Klar, die Mannschaft ist nicht annähernd so stark wie die aus
dem Vorjahr, was in erster Linie mit dem Weggang der drei Topstürmer Ante
Rebic, Luka Jovic und Sebastien Haller zusammenhängt. Und die
Transferpolitik, auf die Kaderplaner Ben Mange dieses Mal weniger Einfluss
hatte als in den Jahren zuvor, war alles andere als optimal. Für viel Geld
sind viele Mitläufer gekauft worden,einen Rohdiamanten wie den Gladbacher
Marcus Thuram ließ man hingegen von der Angel. Vor allem aber ist Wucht,
Draufgängertum und Schnelligkeit verloren gegangen; Pressing, Attackieren,
Jagen, Anlaufen – findet quasi nicht mehr statt. Früher war es unangenehm,
ja eklig, gegen die Eintracht zu spielen, heute ist das gerade für die
Spitzenteams eher ein Spaziergang.

Und doch müsste die generelle Qualität ausreichen, um zumindest einen
halbwegs gesicherten Mittelfeldplatz zu erreichen. Das Team hat schon
gezeigt, dass es sich zu einzelnen Highlights aufraffen kann, zumeist
allerdings mit der bedingungslosen Unterstützung der Fans im Rücken. Die
fällt jetzt weg. Und natürlich strotzt das Ensemble nicht mehr vor
Selbstvertrauen, und auf den Spielern, die lange nicht aufliefen und nun
womöglich eine Chance bekommen, lastet Druck, weil sie wissen, dass sie sich
viele Fehltritte oder eine lange Anlaufphase nicht erlauben können.

Vielleicht sollte Adi Hütter auch ernsthaft überlegen, zur Dreierkette mit
Makoto Hasebe als deren Kopf zurückkehren. Für Linksaußen Filip Kostic etwa
wäre eine leicht defensivere Lesart seiner Position, in der er mit Anlauf
kommen könnte, kein Problem. Und immerhin war die Eintracht in dieser
Konstellation fast dreieinhalb Jahre erfolgreich.

Am Samstag gilt es aber erst einmal, das Spiel bei den Bayern halbwegs
unbeschadet zu überstehen – auf die taktische Ausrichtung wird es da eher
weniger ankommen.


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