[sge-liste] PRESSE:FR:Mit dem Rücken zur Wand

  • From: <frank.eckes@xxxxxxxxx>
  • To: <sge-liste@xxxxxxxxxxxxx>
  • Date: Fri, 22 May 2020 17:32:14 +0200

EINTRACHT FRANKFURT

Mit dem Rücken zur Wand
Thomas KilchensteinvonThomas Kilchenstein
Im November noch besiegte Eintracht Frankfurt den FC Bayern München mit 5:1,
doch danach ging es stetig bergab. Das Rückspiel wird zur Belastungsprobe,
doch Trainer Adi Hütter will von einer Krise nichts wissen.

Es ist tatsächlich erst ein halbes Jahr her, dass Eintracht Frankfurt den
großen FC Bayern, „das Nonplusultra des deutschen Fußballs“ (Trainer Adi
Hütter), so mir nichts, dir nichts aus dem Stadtwald geschossen hat. Das
triumphale 5:1 von jenem 2. November des vergangenen Jahres ist allen, die
es mit den Hessen halten, noch in Erinnerung. Und bei Niko Kovac natürlich
auch, es war sein letztes Spiel als Trainer beim Abonnementmeister, danach
musste er gehen, und Hansi Flick, der Assistent, wurde zum Chef.

Dieses spektakuläre Spiel liegt sechs Monate zurück, erst sechs Monate, doch
es wirkt mittlerweile, als stamme die Partie aus einer anderen Zeit, aus
einer anderen Epoche. Ein Wendepunkt. Es hat sich viel getan seitdem, in der
Welt, im Fußball, bei Eintracht Frankfurt, bei Bayern München: Die
gedemütigten Bajuwaren, seinerzeit mit 18 Punkten auf Rang vier abgerutscht,
starteten danach formidabel durch; die Hessen, die an jenem zehnten Spieltag
lediglich mit einem Zähler Rückstand auf die Bayern auf Rang sieben lagen,
ihrer nach wie vor besten Platzierung der laufenden Saison, stürzten dagegen
gnadenlos ab. Mittlerweile beträgt der Rückstand auf den Münchner
Tabellenführer erstaunliche 30 Punkte, die Frankfurter taumeln mit 28
Zählern in Richtung dunkle Gefilde. Trainer Adi Hütter wollte gestern die
Wahrheit nicht aussprechen, er mied das Wörtchen Krise, er sagte
stattdessen: „Wir sind nicht zufrieden.“

Der wunderschön herausgespielte Sieg aus dem November, man muss es so sagen,
hat Eintracht Frankfurt nicht eben beflügelt. Nach der Gala im Wald haben
die Frankfurter bis zur Winterpause kein einziges Spiel mehr gewonnen, aus
sieben Spielen lediglich einen Punkt ergattert, beim 2:2 gegen Hertha
Berlin, sechs Partien gingen verloren. Dem guten Start nach der Winterpause,
in der Hütter die Mannschaft taktisch – kurzfristig erfolgreich – von
Dreier- auf Viererkette umgerüstet hatte, mit zehn Punkten aus vier Spielen,
folgte ein erneuter Einbruch in der Liga mit weiteren vier Spielen ohne
einen einzigen Sieg. Seit jenem Spiel gegen die Bayern haben die Frankfurter
aus den folgenden 15 Bundesligaspielen, in denen es 45 Punkte zu gewinnen
gab, ganze elf Zähler geholt. Das ist – mit Verlaub – die Bilanz eines akut
abstiegsgefährdeten Klubs. Diese miese Statistik wurde ein wenig vernebelt
durch Erfolge in DFB-Pokal und Europa League, etwa mit Siegen gegen den FC
Arsenal, FC Salzburg, RB Leipzig oder zuletzt Werder Bremen. Die Hessen sind
weiterhin in drei Wettbewerben vertreten, ein Sieg noch, dann stünden sie
zum dritten Mal binnen vier Jahren in einem Pokalfinale, das ist aller Ehren
wert und kommt ganz sicher auch nicht zufällig. In der Bundesliga aber, im
wichtigen Brot-und-Butter-Geschäft, läuft es allerdings erstaunlich unrund –
da mögen (zu viele) Platzverweise, unglückliche Entscheidungen, Sperren,
Schlafmützigkeit und Pech die Gründe sein. Fakt ist: Eintracht Frankfurt
ist, wie Mittelfeldmotor Sebastian Rode sagte, „in einen Strudel geraten“,
der einen geradewegs nach unten ziehen kann.

Die Partie heute Abend (18.30 Uhr) beim FC Bayern, zu der die Frankfurter,
anders als sonst, erst am Spieltag einfliegen werden, ist nicht dazu
angetan, wahnsinnig viel Zuversicht zu versprühen. Trauben können kaum höher
hängen als beim FC Bayern, „dem Maß aller Dinge“, wie Hütter lobt, „viele
Schwachstellen haben sie nicht“. Und doch wird sein Team alles daransetzen,
halbwegs ungerupft den Trip nach Fröttmaning zu überstehen und sich nach
Möglichkeit auch das bislang solide Torverhältnis (minus fünf) nicht
gänzlich zu verhageln.

Der zuletzt in die Kritik geratene Fußballlehrer Hütter, der sich über das
jüngst demonstrativ von Sportdirektor Bruno Hübner ausgesprochene Vertrauen
„gefreut“, es aber auch „erwartet“ hatte, baut auf einen Lernprozess bei
seinen Spielern. Der missratene Kaltstart vor Wochenfrist gegen Borussia
Mönchengladbach (1:3) mit frühen Toren in den ersten sieben Minuten, die
Rode drastisch als „Tritt in die Eier“ umschrieben hatte, soll ein letzter
Wachrüttler gewesen sein. Hütter: „Dieses Spiel hat gezeigt, dass noch
einiges fehlt.“ Hellwach müsse man sein, von der ersten Minute an, denn die
Eintracht, so die Marschroute, muss „die Anfangsphase in München gut
überstehen“. Schlafmützigkeit und Unkonzentriertheit wie zuletzt müsse sein
Team schnellstens ablegen; er habe das Gefühl, sagte Hütter, dass die
Mannschaft das begriffen habe. „Nach dem Gladbach-Spiel waren alle
angefressen“, in dieser Trainingswoche habe es keinen Grund zur Klage
gegeben, die Mannschaft habe sehr engagiert und sehr leidenschaftlich
mitgezogen. „Wir müssen uns an den kleinen Dingen nach oben ziehen“,
vermutet der 50 Jahre alte Österreicher nicht zu Unrecht. Immerhin habe man
erneut eine komplette Woche intensiv taktisch arbeiten können. Eintracht
Frankfurt, das hat Hübner kürzlich betont, sei nun mal ein Team, das ein
ordentliches Mannschaftstraining benötige, um Automatismen und Laufwege
einzustudieren.

Der Fokus sei trotz der immensen Schwere der Aufgabe „ganz klar“ auf die
Bayern gerichtet, selbst wenn „dort uns keiner was zutraut“. Aber natürlich
hat Adi Hütter „die Augen auch auf die kommenden Wochen gerichtet“. Da geht
es für die Eintracht darum, die erforderlichen Zähler für den Klassenerhalt
einzufahren, am Dienstag zu Hause gegen den SC Freiburg, am Samstag beim VfL
Wolfsburg, ehe es am 3. Juni zum Nachholspiel gegen Werder Bremen geht. Es
werden auch für den Trainer Adi Hütter entscheidende Spiele um seine nähere
Zukunft in Frankfurt werden. Die Begegnung heute im leeren Münchner
WM-Stadion ist eine, die ein Coach noch folgenlos verlieren kann – danach
freilich sollten die Hessen mit dem Rücken zur Wand rasch punkten. Der Druck
wird ja nicht geringer in diesen vielzitierten (Englischen) Wochen der
Wahrheit. Hütter bleibt dessen ungeachtet optimistisch: „Es fehlen nur
Nuancen, um die nötigen Punkte zu holen.“

Ein kleines Fragezeichen steht noch hinter dem Einsatz von Kapitän David
Abraham, der gegen Gladbach humpelnd ausgewechselt wurde. Dominik Kohr fällt
aufgrund seiner fünften Gelbe Karte ohnehin aus, Stürmer Goncalo Paciencia
ist nach seiner Muskelblessur noch nicht einsatzbereit. Unabhängig vom
Personal fordert Adi Hütter von seinen Schützlingen einen konzentrierten und
engagierten Auftritt. „Wenn die Leistung nicht stimmt, kann es in München
sehr unangenehm werden.“ Beim letzten Auftritt in München kassierten die
Frankfurter nach einer mutlosen Vorstellung eine 1:5-Klatsche.


Other related posts:

  • » [sge-liste] PRESSE:FR:Mit dem Rücken zur Wand - frank.eckes