[sge-liste] PRESSE:WELT:"Die Natur hat uns allen den Spiegel vorgehalten"

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  • Date: Wed, 25 Mar 2020 19:24:44 +0100

FUSSBALL-MANAGER FREDI BOBIC
„Die Natur hat uns allen den Spiegel vorgehalten“
Stand: 17:55 Uhr | Lesedauer: 6 Minuten
Lars Gartenschläger
Von Lars Gartenschläger
Redakteur
Quelle: pa/dpa/Revierfoto
Fredi Bobic ist Sportvorstand bei Eintracht Frankfurt – und muss den Klub
durch die Krise führen. Er fragt sich, wie der Verein das schultern soll.
Jetzt wisse jeder in der Branche, dass es so nicht weitergehe.
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Erst saß er auf dem Ergometer, dann machte er noch Krafttraining. Das gab
Fredi Bobic, dem Sportvorstand von Eintracht Frankfurt, am Mittwochmorgen
auch Gelegenheit zum Nachdenken – in einer Zeit, in der die Fußball-Branche
ob der Corona-Krise vor großen Herausforderungen steht.

WELT: Herr Bobic, wie stellt sich die Situation für Eintracht Frankfurt
aktuell dar?

Fredi Bobic: Wir sind alle aktuell in Quarantäne. Von 60 Tests waren vier
positiv – zwei bei den Spielern, zwei beim Staff. Ihnen geht es wieder gut.
Die Quarantäne endet aber unterschiedlich, weil nicht jeder mit jedem in
Kontakt war. Die Spieler trainieren individuell, haben aber alle einen Plan.

WELT: Viele unterklassige Klubs fürchten um ihre Existenz. Was glauben Sie,
sind auch Vereine aus der Ersten und Zweiten Liga bedroht?

Bobic: Es kommt auf die Szenarien an, die eintreten können. Schaffen wir es,
die Saison zu beenden oder schaffen wir es nicht. Das ist nach wie vor
offen. Für Klubs, die in jüngster Vergangenheit wirtschaftlich gerade so
durchgekommen sind, könnte es schwierig werden. Das ist jedenfalls zu
befürchten. Christian Seifert (Chef der DFL, d. Red.) hat das nicht ohne
Grund bereits erwähnt.

WELT: Wie sieht es bei Ihrem Klub aus?

Bobic: Es wird heftige Einschnitte geben. Wir sind zwar in der glücklichen
Lage, dass wir in den vergangenen vier Jahren etwas auf die Seite legen und
unser Eigenkapital steigern konnten. Trotzdem wird es uns treffen. Denn wir
sprechen nicht nur von dieser Saison, auch von der kommenden. Und es ist
möglicherweise so, dass wir lange Zeit keine Zuschauer in den Stadien sehen
werden. Das wird auch uns finanziell belasten und treffen.

WELT: In der Krise ist von Solidarität die Rede. Glauben Sie daran?

Bobic: Ich spüre Solidarität. Dieser Gedanke hat uns in Deutschland immer
stark gemacht. Diesen Gedanken gilt es zu pflegen. Es ist wichtig, dass wir
alle zusammen versuchen eine Lösung zu finden, wie wir die Saison zu Ende
bekommen und wir den Menschen, die uns in den vergangenen Jahren
bedingungslos unterstützt haben, etwas zurückgeben können, nämlich die
Emotionen, die unser Sport ausmacht.

WELT: Oke Göttlich, der Präsident des FC St. Pauli, fordert, was sein Klub
seit Jahren propagieren würde: „Solidarität, einen integren Wettbewerb und
die Gleichverteilung von Einnahmeströmen für diese Liga.“

Bobic: Es ist sein gutes Recht, das zu fordern. Ob es in der Realität jedoch
umsetzbar ist, weiß ich nicht. Denn so funktioniert die freie
Marktwirtschaft nicht. Es hat immer Unterschiede zwischen den Klubs gegeben
und es wird sie auch immer geben, unabhängig von der Krise. Jeder hat sich
den Statuten und Regeln der Liga zu unterwerfen. Eine Gleichheit ist meines
Erachtens nicht realisierbar und auch nicht zwingend gerechter.

WELT: Wird es künftig Einschnitte in Bezug auf Millionengehälter oder
horrende Ablösen geben?

Bobic: Wenn der Kuchen groß ist, wird er dementsprechend groß verteilt. Aber
wir müssen uns alle den neuen Gegebenheiten anpassen und einsehen, dass der
Kuchen künftig wohl nicht mehr so üppig sein wird. Wir alle stehen vor einem
ungewissen Sommer. Es wird überall Abstriche geben. Der Fußball war aber
immer erfinderisch – und ich bin mir sicher, dass es auch dieses Mal wieder
Lösungen geben wird. Trotzdem wird die Krise sehr, sehr anspruchsvoll. Ich
bin mir sicher, dass sie wirtschaftlich viel verändern wird.

WELT: Es ist viel Empathie gefragt in diesen Tagen. Können Sie Ihre
Mitarbeiter beruhigen, ihnen Zukunftsängste nehmen?

Bobic: Wir versuchen derzeit alles und wirken beruhigend ein, soweit das
geht. Ich denke jeder Klubverantwortliche tut gerade alles dafür, seinen
Klub auf Kurs zu halten und dafür zu sorgen, dass es weitergeht und die
Arbeitsplätze gesichert sind. Wir im Vorstand von Eintracht Frankfurt sind
uns da unserer Verantwortung bewusst und stellen uns dieser auch.

WELT: Bundestrainer Joachim Löw sagte jüngst, dass das Tempo, das der Mensch
vorgegeben habe, nicht mehr zu toppen gewesen sei. Macht, Gier, Profit, noch
bessere Resultate hätten im Vordergrund gestanden.

Bobic: Er hat vollkommen recht mit dem, was er gesagt hat. Ich stelle aber
auch die Gegenfrage: War der Mensch nicht immer so, will er nicht immer nach
Höherem, nach mehr Rekorden streben und immer besser werden? Es ist der
Grundcharakter des Menschen zumindest in unseren Breitengraden, der auch
nicht ganz verwerflich ist, aber den man nun dennoch auch hinterfragen muss.
Denn eins ist klar: Die Natur hat uns allen auf dieser Welt jetzt mal
richtig den Spiegel vorgehalten und uns zu verstehen gegeben, dass es so
nicht mehr weitergeht, dass wir endlich mal durchatmen sollen und uns neu
sortieren müssen.

WELT: Welche Gedanken treiben Sie dieser Tage um?

Bobic: Ich frage mich ständig, wie wir das alles bei der Eintracht schultern
können. Denn es wird ein verdammt langer Weg bis zu dem Tag X, an dem man
vielleicht wieder den Eindruck hat, dass sich das Ganze wieder so anfühlt,
wie es sich für uns alle mal angefühlt hat. Das ist etwas, was mich
umtreibt. Aber es sind auch Dinge aus dem privaten Bereich. Ich denke an
Freunde, die ich lange nicht mehr gesprochen habe. Ich frage mich, was
wirklich wichtig ist.

WELT: Lehrt uns die Krise schon jetzt, dass man hier und da auch mal ein,
zwei Gänge zurückschalten sollte?

Bobic: Ja. Absolut. Der Job treibt einen schon sehr, egal in welchem
Bereich. Ich habe zwar immer schon einen guten Mittelweg gefunden für mich,
dennoch merke auch ich gerade, wie ich über bestimmte Dinge denke. Ich habe
den Eindruck, wir stehen zu oft unter zu viel Strom. Das ist nicht gut. Aber
es ist leicht gesagt, denn nicht jeder hat es leicht in der Gesellschaft.
Wir Fußballer sind in vielerlei Hinsicht schon sehr privilegiert. Ich bin
überzeugt, es gibt viele, die gerade viel nachdenken und bestimmte Dinge
etwas anders sehen.

Fredi Bobic
Fredi Bobic, Europameister von 1996, ist seit 2016 Sportvorstand bei
Eintracht Frankfurt
Quelle: dpa/Uwe Anspach

WELT: Ihr Klub steht für Leidenschaft, für Emotionen – wie sehr vermissen
Sie ein volles Stadion?

Bobic: Sehr. Ich habe kürzlich ein Video von einem Bekannten geschickt
bekommen. Es zeigt, wie ein Mann auf einem Balkon steht und auf einer
Trompete das Lied „Im Herzen von Europa“ spielt. Er schrieb, dass ihm die
Tränen kamen, als er es gesehen hat. Ich selbst hatte Gänsehaut. Da habe ich
gemerkt, wie sehr mir die Atmosphäre fehlt. Ich glaube, wir alle können uns
noch gar nicht vorstellen, wie emotional wir alle sein werden, wenn wir
irgendwann das erste Mal wieder in einem voll besetzten Stadion sind. Das
wird in jedem Stadion eines der größten Erlebnisse der Fußball-Geschichte.
Dieses Bild habe ich in meinem Kopf, auch wenn ich weiß, dass es noch lange
bis dahin dauern wird. Doch dieses Bild treibt mich und wird alle anderen in
dieser Branche auch antreiben. Denn wenn es so weit ist, wissen wir alle,
dass wir über dem Berg sind.


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