[sge-liste] PRESSE:FR:Dynamischer Stillstand

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  • Date: Tue, 24 Mar 2020 08:10:11 +0100

Eintracht und die Corona-Krise: Dynamischer Stillstand
Ingo DurstewitzvonIngo Durstewitz
Der Transfersommer wird nicht so sein, wie er zuvor einmal war - das hat
völlig ungewisse Folgen für Eintracht Frankfurt, Filip Kostic und sowieso
den ganzen Profifußball

Nach dem letztlich ungefährdeten Erfolg gegen den SV Werder Bremen und dem
damit verbundenen Einzug ins Halbfinale des DFB-Pokals herrschte dennoch
eine latente Katerstimmung im Lager der Frankfurter Eintracht. Filip Kostic,
man erinnert sich dunkel, war vom Platz geflogen wegen eines rüden Tritts in
die Wade des Kontrahenten Ömer Toprak, er würde darob natürlich gesperrt
werden und länger fehlen, weshalb die FR keine guten Zeiten auf die Hessen
zukommen sah und von einem Pyrrhussieg schrieb. Denn: „Ohne Filip Kostic ist
die Eintracht ihrer wirksamsten Waffe beraubt, ohne Filip Kostic geht im
Grunde kaum noch Gefahr aus, ohne Filip Kostic ist diese Mannschaft
mindestens um die Hälfte schwächer.“ Und: „Jeder Spieler in dieser
Frankfurter Mannschaft mag zu ersetzen sein, Filip Kostic ist es nicht.“
Guter Mann offenbar, dieser Filip Kostic.

Damals wusste niemand, wer der Gegner im Halbfinale sein würde, die Bayern
auswärts (ach herrje), und natürlich ahnte kaum jemand, dass selbst das nur
ein paar Tage später keinen Menschen mehr wirklich interessieren würde, weil
die Partie sehr wahrscheinlich niemals stattfinden wird und selbst wenn,
dann unter merkwürdigen Umständen, und weil sowieso nichts mehr ist, wie es
einmal war.

Diese Episode liegt, man glaubt es kaum und das ist das eigentlich
Unvorstellbare, erst zweieinhalb Wochen zurück.

Fußball, Pokal, Sieg, Halbfinale, Kostic – das fühlt sich in diesen Tagen
nicht an, als sei es Anfang März 2020 gewesen, vielleicht Anfang März 2018
oder so, die Relevanz ist dahin. So schnell ist der Sport vom Leben wohl
noch nie überrollt und aus dem Bewusstsein gespült worden.

Und was macht Filip Kostic, dieser Teufelskerl? Er jongliert mit Klopapier,
daheim in seiner Wohnung. Raus darf er ja nicht mehr in Zeiten des Virus.

Vor einigen Tagen noch, nicht mal Wochen, wurde eifrig darüber spekuliert,
wo es den furiosen Serben im Sommer hinziehen würde, 45 Millionen Euro würde
er der Eintracht bringen, unter 40 Millionen würde der Verein dankend
abwinken. Kostic war das beste Pferd im Stall, und er bleibt es. Doch die
Situation hat sich massiv verändert.

Keiner weiß mehr, wann, in welcher Form und ob weitergespielt wird. Das hat
logischerweise Auswirkungen auf den Sommer, in dem die Spieler wechseln, in
dem ganz viele Millionen in den immer schneller werdenden Kreislauf
hineingepumpt werden. Das war zumindest immer so. Wird dieses Mal jedoch
gewiss anders sein. Wie genau? Auch das weiß niemand. Bringt, um bei Filip
Kostic zu bleiben, der 27-Jährige nur noch 20 Millionen oder 15, will ihn
überhaupt noch jemand, weil auch die Topklubs ganz schön bluten müssen in
dieser verrückten Zeit. Und: Warum sollte ihn die Eintracht für eine
vergleichsweise läppische Summe überhaupt verkaufen? Oder ist der Linksaußen
sogar ganz froh, noch einen Vertrag bei der Eintracht zu besitzen? In
Frankfurt hat er sich unweit des Stadions ein Eigenheim gekauft, hier fühlt
er sich wohl und sicher, so sicher wie man sich inmitten der Corona-Krise
eben fühlen kann. Aber dieser Wohlfühlaspekt ist in Zeiten der kollektiven
Ungewissheit ein nicht zu unterschätzender Faktor. Die Chancen, dass der
Powermann auch in Zukunft in Frankfurt sein Unwesen auf links treiben wird,
sind, so bizarr es sich anhören mag, ganz sicher nicht gesunken. Im
Gegenteil.

Ehrlicherweise muss man sagen, dass niemand einschätzen kann, was in ein
paar Monaten sein wird. Der Profifußball hat ein verständliches Interesse,
die Saison irgendwie zu beenden, realistisch erscheint das kaum mehr.

Und wie wird sich die geballte Mixtur aus Angst, Stillstand, Isolation und
Millionenverlusten auf das Gebahren auf dem Spielermarkt auswirken? „Keiner
weiß, wie so ein Transfersommer aussehen wird“, räumt
Eintracht-Sportvorstand Fredi Bobic ein. Man müsse irgendwie sehen, „dass
wir wieder zum Kicken kommen, wenn wir nicht zum Fußballspielen
zurückkommen, brauchen wir über einen Transfersommer gar nicht reden.“

Nahezu absurd muten daher Meldungen aus England an, wonach Verteidiger Evan
Ndicka auf der Liste des FC Arsenal und, natürlich, des FC Liverpool stünde.
Auch der FC Sevilla, der FC Valencia, AC und Inter Mailand seien
interessiert – wahrscheinlich auch noch Barcelona, Real, die Bayern,
Manchester City und eine bisher geheime Weltauswahl. Der Marktwert des
Franzosen: 25 Millionen Euro. Was auch immer das jetzt noch zu bedeuten hat.

Interessant wird auch sein, ob so manche Eintracht-Ära für verdiente Spieler
endet. Kapitän David Abraham hat Heimweh und liebäugelt mit eine Rückkehr
nach Argentinien. Die Verträge der Routiniers Marco Russ, Gelson Fernandes
und Makoto Hasebe laufen aus. Vielleicht werden sie ihre Karriere beenden,
ohne noch mal richtig für ihren Klub gespielt zu haben.

Der langzeitverletzte Russ, 34, stand in dieser Saison nur einmal auf dem
Feld, in der Europa-League-Quali gegen den FC Vaduz; der ebenfalls
unpässliche Fernandes, 33, kurz vor Weihnachten beim 1:2 in Paderborn und
Hasebe, 36, bei der 0:3-Heimniederlage im Geisterspiel gegen den FC Basel –
vor zwölf Tagen. Auch dieses Duell wirkt in der Rückschau wie eine Begegnung
aus einer anderen Welt.


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