[neuropsychologie] Demenz- Differentialdiagnose bei 49jähriger Patientin

  • From: Inga roth <roth.inga@xxxxxxxxx>
  • To: neuropsychologie@xxxxxxxxxxxxx
  • Date: Wed, 15 Nov 2023 11:26:57 +0100

Sehr geehrte KollegInnen,



ich möchte mich gerne mit einer Falldarstellung einer jüngeren Patientin
mit noch unklarer Diagnose an das Forum wenden mit der Bitte um Ideen für
das weitere diagnostische Vorgehen.

Ich habe eben schon von einer anderen Adresse aus versucht diese Mail zu
schicken, was aber wohl nicht geklappt hat. Falls die Mail jetzt 2 mal im
Forum auftaucht, bitte ich um Entschuldigung!

Es handelt sich um eine 49jährige Patientin, die verwirrt von Passanten
aufgefunden wurde, laut Angehörigen jedoch schon seit 1-2 Jahren ein
progredienter kognitiver Abbau stattfindet.





Verhaltensbeobachtung:

Pat. ist im Kontakt freundlich und aufgeschlossen, erscheint jedoch mit der
Situation (Aufenthalt im Krankenhaus, angesprochen werden) deutlich
überfordert und hilflos, benötigt Anweisungen für ein situativ angemessenes
Verhalten (ins Zimmer gehen, Platz nehmen, wo sie ihre Sachen ablegen
kann...). So verhält sie sich zwar freundlich, jedoch situativ unangemessen
(z.B. bietet das Du an). Die Pat. ist örtlich grob orientiert (KH),
zeitlich und situativ nicht ausreichend orientiert mit Zeitgitterstörung.
Auch Fragen zur eigenen Person kann sie nicht sicher beantworten (z.B.
eigenes Geburtsdatum). Die Sprache ist gekennzeichnet durch Satz- und
Wortabbrüche, Wortfindungsstörungen, starkes Suchverhalten beim Sprechen,
häufige semantische und phonematische Paraphasien, Floskeln und Echolalie.
Die Grammatik ist einfach strukturiert, aber weitgehend erhalten. Die
Auffälligkeiten beim Sprechen fallen der Patientin selbst auf, hier besteht
Leidensdruck sowie die Angst vor zukünftiger Hilfsbedürftigkeit, alle
übrigen Fehlhandlungen werden bagatellisiert oder externalisiert. Der
Affekt ist insgesamt unauffällig, ebenso der Antrieb, die
Schwingungsfähigkeit ist etwas vermindert. Das Sprachverständnis ist
eingeschränkt, die Pat. versteht oft auch einfache Fragen nicht. Eine
kognitive Testung (MMST) und EEG-Untersuchung von vor 3 Stunden werden
nicht erinnert.

Am Folgetag erkennt die Pat. die Untersucherin wieder, erinnert sich auch
an das Gespräch. In der Abholsituation im Zimmer ist Patientin sehr hilflos
und fahrig, braucht für einfachste Tätigkeiten eine Anleitung und
Unterstützung (z.B. musste ich ihr zeigen, wie man eine Türklinke benutzt
oder die Crocs anzieht). Das Gehen ist unsicher und etwas breitbasig,
teilweise schwankend und deutlich verlangsamt.



Fremdanamnese:

Der Sohn beschreibt eindrücklich einen sehr ausgeprägten
Unterstützungsbedarf seiner Mutter, insbesondere im Bereich der
Lebensplanung (Termine, Schriftverkehr, angemessene Ernährung, Haushalt,
Gebrauch von Alltagsgeräten und Umgang mit Geld). Begonnen habe die
Symptomatik vor über 1 Jahr (laut Schwiegertochter eher schon 2 Jahre) mit
leichtem situativem Fehlverhalten und situativer Desorientiertheit, zudem
oben beschriebene Sprachstörungen und Vergesslichkeit. Die Progredienz sei
seit ca. 1/2 Jahr dramatisch. Der Sohn beschreibt ein schwankendes
Leistungsvermögen, deutlich tagesformabhängig mit Schwankungen im
Stundenbereich. Das Merken von Terminen und Absprachen sei wechselhaft,
wichtige Dinge könne sie sich merken, jedoch nicht mit den Einzelheiten
(z.B. Uhrzeit eines Termins). Die Patientin verhalte sich zunehmend
situativ unangemessen (gehe z.B. in der Bank hinter den Schalter), jedoch
immer freundlich. Sie könne Zusammenhänge von Ereignissen und Tätigkeiten
nicht herstellen oder verstehen. Beim Autofahren habe sie schon mehrere
kleine Unfälle gehabt, insbesondere aufgrund fehlerhafter Raumwahrnehmung
(anstoßen, seitlich von der Straße abkommen). Die Stimmung sei insgesamt
eher fröhlich und ausgeglichen.

Die Mutter der Patientin sei mit ca. 40 Jahren an Alzheimer erkrankt.



Vorbefunde:
CCT: In Anbetracht des Alters bereits Bild einer generalisierten
Hirninvolution. (MRT und Liquor sind in Arbeit)

EEG: Bild einer diffusen Hirnfunktionsstörung. Keine epilepsietypischen
Potentiale

kognitive Screeningtestung: MMST 12 von 30
Punkte, Uhrenzeichentest Note 6 nach Shulman (Instruktion konnte trotz
mehrfacher Erklärung nicht umgesetzt werden).



Testpsychologie (CERADplus Testbatterie):
Das Instruktionsverständnis ist deutlich eingeschränkt, viele Aufgaben
müssen mehrfach in einfacher Sprache erklärt werden. Teilweise werden
Instruktionen während der Durchführung der Aufgabe vergessen. TMTb konnte
nicht durchgeführt werden, TMTa bereits nur mit Hilfestellung (Zahlenfolge,
Umsetzen der Instruktion „Verbinden mit einer Linie“). Beim BNT scheint es
teilweise auch ein Problem des Erkennens zu sein.

Alle Untertests liegen im Bereich von z=-2.33 oder noch weniger, AUSSER:
Intrusionen (keine), Diskriminabilität (9 /10 korr. Ja-Antworten, 10/10
korrekte nein-Antworten). Wortliste Dg1, Figuren Abzeichnen und Savings
sind tendenziell weniger stark defizitär als die übrigen Untertests.

Überprüfung des V.a. Apraxie: Es zeigen sich deutliche Defizite in der
Imitation bedeutungsloser Hand-Gesicht-Gesten, in der Durchführung von
Pantomime, der Luria-Folge (jeweils rechts und links) sowie beim Benennen
der einzelnen Finger.
Auch einfachste Rechenaufgaben (8-7) sind nicht lösbar. Das Lesen eines
Satzes gelingt gut, das Schreiben ist gekennzeichnet durch fehlerhaft
ausgeführte Buchstaben.



 Die Überlegung ist, dass insb. die Info, dass die Mutter der Pat. früh an
AD erkrankte, eine familiäre AD zum Favoriten macht. Jedoch erscheint die
Symptomatik nicht so richtig „alzheimertypisch“, die Gedächtnisstörung ist
nicht das Hauptsymptom, sondern eher die Sprachstörungen und Apraxie, sowie
auch die räumlich-perzeptiven Störungen. Eine alternative Überlegung wäre
eine PPA. Ich habe auch schon von einer posterioren Variante der AD
gelesen, damit aber keine Erfahrung. Die OÄ schießt eine CJD eher aus (wäre
schnellere Progredienz).

Für Vorschläge und Anregungen bin ich sehr dankbar!




Viele Grüße
Inga Roth

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