[python] Re: learning to ride a python or flevo

  • From: Jürgen Mages <jmages@xxxxxx>
  • To: python@xxxxxxxxxxxxx
  • Date: Wed, 07 Nov 2007 21:46:26 +0100

Hej Dirk and Mike,

mid-steered recumbents are the most fascinating bikes I ever got to know. Especially the flevobike was subject of various interesting contemplations.

Here is one (unfortunetly in German) interview with Herman Reglo, a sport scientist who owns and rides a flevoracer:

Hermann HERWIG: Gespräch mit Herman Reglo über Koordination und Balance auf dem Liegerad Flevo-bike

HERWIG: Herr Reglo, Sie fahren da ein etwas ungewöhnliches Zweirad. Nicht nur, daß Sie darin liegen wie im Fernsehsessel, es wirkt auch insgesamt etwas futuristisch. Wie kamen Sie dazu? REGLO: Vor drei Jahren brauchte ich mal wieder ein anderes Fahrrad, und da sollte es ein sehr anderes sein. Ich hatte dieses Teil im Mehringhof, Berlin, entdeckt und dabei zugeschaut, wie jemand seinen 13. Fahrversuch damit machte. Ich bekam nicht einmal beide Füße gleichzeitig vom Boden. HERWIG: Hm. Spricht das gegen den Ingenieur oder gegen den Fahrer? Was ist so anders an diesem Rad? REGLO: Liegesitz, Vorderradantrieb, puristischer Rahmen, keine überflüssige Stange, das Gelenk für das, was normalerweise Steuerrohr und Gabel verrichten, ist hier unter dem Podex angebracht. Man sitzt über dem Lenkgelenk.
HERWIG: Dann lenken Sie etwa gar mit dem Podex anstatt mit den Armen!
REGLO: Das wäre nur wenig übertrieben. Der Knick dieses Rades ist ziemlich in der Mitte. Dadurch fahren die Beine auf dem Vorderteil, können also nicht nur treten, sondern auch mitlenken. Ich vermute, dies ist das Fahrrad, bei dem man am ehesten auf den Lenker verzichten könnte (ich sehe mal vom Einrad ab). Ich kann in der Tat heute freihändig anfahren, anhalten und ... HERWIG: ...und dazwischen wohl auch freihändig fahren und dabei die Zeitung lesen? Wozu hat das Rad dann noch einen Lenker? REGLO: Klar doch ... Zeitunglesen, am liebsten die FAZ. Aber das Rad hat eigentlich gar keinen Lenker im herkömmlichen Sinne. Diese beiden Griffe da neben den Oberschenkeln sind nur ein Platz für die Hände, für die Bremsen und natürlich für die Schaltung. Wo sollte man sonst damit hin? HERWIG: Sie sagten anfangs, das Rad sei so schwer zu fahren, und nun geht es auch fast ganz freihändig. Wie reimt sich das? REGLO: Ich glaube, dieses Rad ist eines derjenigen modernen Sport- oder Fortbewegungsgeräte, die immer mehr Funktionen in einem integrierten Bedienungsorgan vereinen. Beim Drachenfliegen sind die Höhen-, Seiten- und Querruderfunktionen eines - sagen wir - Segelflugzeuges dadurch gegeben, daß der Flieger seine Masse unter dem Druckpunkt des Drachens herumpendelt. Beim Windsurfen hat man auch keine Pinne und Schot mehr in der Hand, sondern regelt Vortrieb, Fahrtrichtung, Gegenkraft zum Segeldruck physikalisch gesehen letztlich nur durch die Veränderung der Segelstellung und das Spiel mit dem Systemgleichgewicht zwischen Segelzug und Körpergewicht. Auch beim Jetten mit dem Skateboard werden Balance, Richtung und Vortrieb dynamisch und integriert geregelt. Wenn man diese integrierte Lenk-und Balancetechnik beherrscht, tun sich unerwartete kinästhetische Eindrücke auf. HERWIG: Für Ski und Snowboard gilt ähnliches. Das Gefühl von Leichtigkeit und high-performance stellt sich dann besonders ein, wenn das Spiel innerer und äußerer Kräfte im rhythmischen Schwingen harmonisch balanciert werden kann, und man fortlaufend im Systemgleichgewicht auf dem Gerät steht.
REGLO: Das klingt gut.
HERWIG: Auf welchem Wege könnte auch ich in den Genuß gehobener kinästhetischer Sensationen auf Ihrem exotischen Fahrrad kommen? Noch nie im meinem Leben kam ich mir so blöd vor, wie bei meinem ersten Versuch auf Ihrem (F)Liegefroh-Fahrrad - und das, obwohl ich mir einbilde, Radsportler zu sein! REGLO: Trösten Sie sich! Ich lese Ihnen aus einem Testbericht über Knick-Lenk-Lieger vor (siehe Tour 10/95, 40): Den Knick-Lenker zu fahren "ist mehr als nur ein bißchen anders, es erfordert eine komplett veränderte Fahrtechnik....ist vom gewöhnlichen Radfahren soweit entfernt wie Einrad- oder Hochradfahren...für das notwendige Fahrtraining sollte man großzügig eine Woche Urlaub einplanen. Begnadete Feinmotoriker lernen es vielleicht schneller"...in dem Stil schreiben guttrainierte Rennradler. Anders bei diesem Fahrrad ist - um an die Sache mit den Bedienungsorganen anzuknüpfen - v.a. folgendes: Man muß lernen, wenig lenker-betont zu fahren. Ich war anfangs total dazu verurteilt, alle Kräfte aus dem Reißen an der Lenkstange zu holen, die Gegenkräfte für den Tritt ins Pedal, Lenkkräfte, aufrichtende Lenkbewegungen, alles aus dem Lenker! Heute weiß ich, daß die Gegenkraft zum Pedal aus der Rückenlehne kommen sollte und nicht durch Ziehen am Lenker. Zwischen Schalensitz und Schulterblättern findet der Kraftschluß zwischen Körper und Gerät statt. Aus dem Rücken kommt die Gegenkraft für die Pedalen, nicht durch Ziehen am Lenker. Die Kraftanstrengung war damals immens, besonders in Schultergürtel und Halsmuskeln. Ein befreundeter Medizinmann dachte, ich stehe vor dem Infarkt, als er mich üben sah - puterrot im Gesicht und vor Anstrengung keuchend. Der Konstrukteur, Johan Vrielink führt die Schwierigkeiten beim Erlernen seines Rades auf die Gewohnheit des lenkerbetonten Fahrens zurück. Wir seien gewöhnt, alles mit Armen und Händen zu kontrollieren. HERWIG: Wohinter verstecken sich die adäquaten handlungsregulierenden Führungsgrößen zur adäquaten Benutzung des Gerätes? Wie könnte man einem Lernenden helfen, diese zu entdecken? Warum glaubt der Anfänger, so große Lenk- und Balancierkräfte aufbringen zu müssen? REGLO: Die Konstruktion des Flevo-bike's mit Vorderantrieb und Mittellenkung bringt es mit sich, daß mit jeder Lenkbewegung erhebliche Massen geschwenkt werden. Das ist so, wie wenn volle Packtaschen vorne am low-rider hängen. Das macht die Lenkungsschwenkung träge. Zum zweiten steht der Steuerkopf extrem schräg, d.h. der Nachlauf ist sehr groß (50mm). Dadurch verwindet sich das Rad auch so verrückt in der Kurve. Dabei ist es sehr kurvenstabil, es giert in die Kurve und will gar nicht mehr aus der Kurve heraus. Es ist alles andere als wendig, bockig oder nervös, wie etwa Ihr Rennrad. Es ist also das extreme Gegenteil zum Einrad, dessen "Steuerkopf" senkrecht steht und dessen Wendekreis und Nachlauf Null cm betragen. HERWIG: Die Möglichkeiten zu Ausgleichsbewegungen mit der Lenkung sind also gering, und das Unterfahren des kippenden Schwerpunktes scheint erheblich erschwert zu sein. Wieso fallen Sie dann nicht immer wieder um? REGLO: Ich regulierte die Schräglage anfangs in der Feinabstimmung mehr über die Geschwindigkeit. Wenn ich zu stark nach innen kippe, gebe ich Gas. Damit erhöht sich die Fliehkraft und richtet das System Maschine-Fahrer wieder auf. Zu Anfang hangelte ich mich daher auch mit Bremsen und Beschleunigen durch die Kurven. Jedenfalls unterstützt man damit - anfangs - die enorm träge Lenkung sehr wirkungsvoll, das häufige Beschleunigen macht die Sache aber für den Lernenden eben auch kraftraubend. HERWIG: Da wir nun von der Gleichgewichtsregulation sprechen, haben wir den Kern des Problems im Visier: Das Unterfahren reagiert zu langsam, statt dessen mehr Regulation durch Fliehkraft zum Neigen/Aufrichten. Wie ist es mit der Gewichtsverlagerung? Verfrachten Sie zum Balancieren Ihre Körpermasse seitlich - nach links neigen - nach rechts neigen? REGLO: Da man in dem Schalensitz liegt wie ein Sack Reis, ist da auch nicht viel möglich. Ich erinnere mich, daß ich anfangs meine Knie als die einzige seitlich verschiebbare Körpermasse hektisch nach links oder rechts warf. Erst jetzt in der dritten Saison entdecke ich die Möglichkeit, den Oberkörper im Schalensitz doch seitwärts zu bewegen. Aber das braucht man eigentlich nur auf schlechten Wegen. HERWIG: Sie sind scheinbar weitgehend auf prästabilisierte Harmonie angewiesen! REGLO: Ha ha, könnte man so sagen. Die antizipierte Fahrspur reicht jedenfalls viel weiter voraus - sie muß!- als beim regulären Rad, bei dem man unmittelbar nachbessern kann, bei dem man durch Feedback die Fahrspur nachreguliert. Beim Flevo hilft es immens, über 10-15m die Route gedanklich-visuell vorauszuzeichnen und sich an ihr auszurichten. Es braucht einen weiter vorauseilenden Bewegungsentwurf, und dieser "prästabilisiert" tatsächlich. Irgendwie bewirkt der rechtzeitig angepeilte Weg - z.B. um Hindernisse herum, zwischen Begrenzungspollern hindurch oder der Schwenk in eine Kurve hinein - eine gute Bewegungsgestalt, die harmonisch und ausbalanciert ist. HERWIG: Damit liegt Ihr Flevo offensichtlich mitten im sportwissenschaftlichen Trend der kognitiv imprägnierten feedforward-orientierten handlungsregulierenden Führungsgroßengenerierung. REGLO: Das klingt eindrucksvoll. Redet man in der Sportwissenschaft heute so? HERWIG: Handlungsforscher wie LEIST, LOIBL, KÖRNDLE, SCHERER, THOLEY - mich selbst rechne ich auch dazu - prägen und verwenden diese Begriffe, wenn es um - Bewegungssteuerung, - Bewegungsvorstellung, - kognitive Repräsentation und - Transfer und Lernen geht. Damit verbunden sind - als Folge - handlungs-, wahrnehmungs- und regulationspychologische Analysen zum Auffinden geeigneter methodischer Gliederungen und Lehrmaßnahmen. Ihr Flevo-bike stellt nach meinem Eindruck auch hohe Anforderungen an den Fahrlehrer und seine Methodikkompetenz. REGLO: Interessant! Vielleicht könnten mir diese Ansätze bei der Lösung der Aufgaben helfen, die ich mir z.Zt. stelle, nämlich freihändig leicht aus einer Kurve herauszukommen, Schlangenlinien und Achten fahren. Zum freihändigen Kurvenfahren hilft es, die Geradeausfahrt, die nach der Kurve kommt, visuell-vorstellungsmäßig vorwegzunehmen. Das hilft mir offensichtlich sehr dabei, daß sich das Rad ohne Kraftaufwand scheinbar wie von selbst wieder aufrichtet. Schlangenlinien scheiterten bei mir lange Zeit daran, daß sie sich aufschaukelten, extremer und unkontrollierbar wurden. Wenn man den Kurvenwechsel früher antizipiert, bleibt die Amplitude der Sinusschlange moderato. Ich habe den Konstrukteur des Flevo-bikes, Johan Vrielink in Dronten dazu befragt (Das ganze Thema war mir mit meinem Freund Johannes Becker einen Abstecher zum Ijssel-Polder Flevoland wert). Zum Kurvenwechsel und gegen das Übersteuern in der Kurve rät und demonstriert Mijnher Vrielink einfach: In langsamen Kurven die äußere Schulter zurücknehmen! Also nicht mit dem Oberkörper in die Kurve hineinrotieren. Wieder ganz analog wie beim Skilaufen: anticipazione der neu beabsichtigen Fahrtrichtung - auch in der Körperbereitschaft. HERWIG: Das deutet auf die hohe Bedeutung der Antizipation, die sich aus Situationswahrnehmung, Bewegungserfahrung und -gefühl und aus vielfältigen Erfahrungen von Operations-Effekt-Beziehungen speist. Dann bleibt nur noch zu klären, wie all diese Einsicht im Kopf meinen stummen Diener Kleinhirn (das Kleinhirn birgt und speichert alle motorischen Routineprogramme) dazu bringen kann, mich auch entsprechend zu bedienen. REGLO: Den stummen Diener können wir leider nicht interviewen. Aber sagen Sie, was Sie dazu explorieren wollen! HERWIG: Ich habe da schon einige Fragen: Einmal an das Fahrrad selbst, das mir entdecken müßte, was es haben will. Wie reagiert das Gerät, was will es von mir? Fragen auch an jemanden, der es kann: Welche Vornahmen treffen Sie - vor dem Anfahren, vor Kurven etc. Welche Tricks haben Sie für sich entwickelt? Auf welche Reaktionen des Gerätes achten Sie besonders? Gehen alle Steuerbewegungen immer von Ihnen selbst aus, oder überlassen Sie sich dem Gerät und warten einfach ein bisserl zu, daß etwas von alleine geschieht? Insbesondere wären auch Fehler und Ach-so!-Erlebnisse (motorische Aha-Erlebnisse) aus Ihrem eigenen Lernprozess spannend. Kennen Sie Situationen, in denen das Rad mit Ihnen macht was es will? Kurzum: Welche inneren Bilder und Bewegungsvorstellungen leiten heute Ihren erfolgreichen Umgang mit Ihrer Rennliege? Mit welchen Vorstellungen haben Sie sich während des Lernprozesses herumgeschlagen? REGLO: Innere Vorstellungen, mh... Ich hatte lange Zeit das Bild, ich fahre auf einem Tigerrücken entlang, quergestreift, nach beiden Seiten immer steiler abfallend, in der Mitte nur eine schmale Spur, auf der sich locker im Gleichgewicht fahren läßt. Kommt man davon ab, ist es mühsam, auf die Mittellinie zurückzugelangen. Davon ist die Leitvorstellung geblieben, tatsächlich ruhig und mittig,'entspannt im Hier und Jetzt' um die antizipierte Ideallinie herum zu schwingen, also oben auf dem Tigerrücken. Ich las einmal über das Flevobike: "Man fährt es entweder entspannt oder gar nicht". Ich empfinde auf diesem Rad ganz deutlich, daß Leichtigkeit und Harmonie beim Fahren daher rühren, daß man sich locker und entspannt, sicher und der Lage gewachsen fühlt. Die Fahrtüchtigkeit wird spürbar durch Stressoren gemindert: Ein Hund, der mich in den Arm beißen könnte (der Arm ist in Höhe der Hundeschnauze, und nach ihm treten kann ich nicht!), ein Passant, der in einer engen Durchfahrt auftaucht, jeder unerwartete Verkehrsteilnehmer, alles das kann die Gelassenheit irritieren. Alk ist leider auch ein Stressor. HERWIG: Dann sollten wir es besser ganz nüchtern betrachten. Das läßt mich vermuten, daß Sie Ihren Tieflieger vorwiegend feiertags auf dem Aldi-Parkplatz fahren. REGLO: So hat es auch angefangen. Man fährt anfangs, wohin das Rad fährt, und ist vollauf damit beschäftigt, überhaupt oben zu bleiben. Das braucht Platz. Als Anfänger läßt man sich von Hindernissen ganz viel Raum wegnehmen, viel mehr als "objektiv" notwendig wäre. Aber man fährt eben in einem subjektiven, in einem erlebten Raum und nicht in einem euklidisch-metrischen Raum. Angst verkleinert diesen Raum. Erst Kompetenz erweitert ihn, macht mehr draus, ja, macht oft sogar etwas anderes daraus. HERWIG: Ja, unter Angst und bei geringer Kompetenz ist sogar der visuelle Raum eingeschränkt. Vielleicht fahren oder fuhren Sie manchmal mit Scheuklappen. Wie ist das im Verkehr, sind Sie sicher? Sind andere vor Ihnen sicher? Ich sehe an Ihrem Gerät auch weder Rückspiegel, noch Blinker oder Blaulicht. REGLO: Im Verkehr bleiben Probleme. Der Blick über die linke Schulter ist eingeschränkt, wenn man kein Wendehals ist. Man weiß nie, ob man besonders auffällt oder ob man besonders übersehen wird. Und mir widerstrebte es, dieses pure Stück Technik mit Rückspiegel, Abstandskelle und Warnfähnchen zu verschandeln! An vollgeparkten Einmündungen kann man nicht über die Autodächer hinwegschauen: Da habe ich mir den Blick in die Kurve durch die Autoscheiben und unter den Autos hindurch angewöhnt, um nicht überrascht zu werden. Durchschlängeln ist nicht drin, das Rad ist ja auch nicht so wendig. Man muß sich insgesamt disziplinierter verhalten. Inzwischen kann ich zur Seite schauen, über die 180 Grad vor mir - von links bis rechts querab. Es machte mir ein Jahr lang die größten Schwierigkeiten, den Blick von der Fahrtrichtung abzuwenden, um etwa nach rechts in eine Einfahrt zu schauen oder einen vorbeiziehenden Anblick so lange im Auge zu behalten, bis mein Hals am Anschlag ist. Ich habe das probiert und geübt. Den Kopf nach links wenden, in die Landschaft schauen, das brachte mich anfangs aus dem Gleichgewicht. Bei abgewandtem Kopf (z.B. nach links sichernd) in eine Kurve anzufahren - beim Einbiegen in eine Vorfahrtsstraße etwa, das war sehr schwierig. HERWIG: Das habe ich mir fast so gedacht. Aus Ihrer Schilderung entnehme ich, daß Sie sich am optischen Horizont mit fixiertem Blick festhalten müssen. Dieses Schicksal teilen Sie mit Anfängern im Segelboot oder im Segelflugzeug. Der visuelle Horizont liefert dem Lageempfinden des Körpers im Raum eine wichtige Invariante. Wir sind phylogenetisch als aufrecht gehende Wesen auf den Rundum-Horizont geeicht. REGLO: Darf ich mal fragen: Wieso betonen Sie jetzt so den visuellen Horizont? Die Gleichgewichtsregulation leistet doch der Vestibulärsinn! HERWIG: Gäbe es für das Gehirn keine weiteren Quellen, sich über die Lage des Körpers im Raum und über seine Bewegungszustände relativ zum Raum zu informieren, so wären z.B. Astronauten im All in agonaler Seekrankheit versunken. An der Gleichgewichtsregulation sind viele Sinne beteiligt. Das Gehirn erbringt eine a-modale äquilibratorische Gesamtleistung und kann sogar den Ausfall einzelner Sinnesmodalitäten verkraften. So machen Trampolinturner oder Wasserspringer bei schnellen Drehungen schon mal die Augen zu. Beim Walzertanzen hält man den Blick solange wie möglich auf einen festen Punkt fixiert und macht dann einen schnellen Blickschwenk (Kopfsakkade). Blinde können Skifahren oder Wildwasserkajak lernen. High-performance heißt immer, dem Gehirn unter den vorhandenen Informationsquellen diejenige zu erschließen, die für die Aufgabe am relevantesten ist. Der visuelle Horizont ist also neben dem Vestibulärapparat außerordentlich hilfreich für das Raumlageempfinden. REGLO: Mir fällt dazu folgende Situation ein: Ich fahre in völliger Dunkelheit - auch ohne Beleuchtung (ahem!) - durch einen Hohlweg aus Büschen und Bäumen, nur geradeaus, 200m vor mir das matte 'Licht am Ende des Tunnels'. Da war kein visueller Horizont zu sehen, und ich habe ganz stark zur Schwerkraft hingefühlt - also mich sozusagen extrem vestibulär orientiert. Den Kopf beim Fahren schiefhalten, seitlich geneigt, das war auch eine Klippe. Oder auch seitwärts schauen und dann den Kopf neigen. HERWIG: Das Vestibulärorgan mit seinen Bogengängen und dem Statolithenapparat ist durch isolierte Kopfbewegungen sehr störbar. Bei Kopfneigung meldet der Vestibulärapparat Schräglage. Rührt die jedoch von der Halsstellung, muß der zentrale Prozessor diese Abweichung erst herausrechnen. Dem Gehirn machen die daraus folgenden Meldungen aber erst in Überlastsituationen - beim Lösen einer komplexen Gesamtaufgabe - zu schaffen. Im Alltag und in hochgeübten Bewegungsabläufen bemerkt man die zusätzliche Beanspruchung des zentralen Prozessors nicht. Machen Sie mal ein kleines Experiment: Stellen Sie sich auf ein Bein, Kopf geradeaus, Blick in die Ferne gerichtet. Das ist nicht so schwierig. Nun schließen Sie die Augen. Blindes Einbeinstehen ist schon schwieriger, bringt Sie aber noch nicht an die Grenze. Senken Sie den Kopf dann schnell auf die Brust - jetzt müßte Ihnen schwindlig werden. ...Jetzt.. Ja ....Sehen Sie! Sie stürzen! Oh... Verzeihen Sie. REGLO: Schon gut. Ich war ja nicht schnell. Aber wie erklären Sie folgendes: Bei normalem Treten liegt bei mir das Rad ruhiger als beim Rollen im Freilauf bei ruhenden Beinen. Deutlich labiler wird die Lage sogar beim Rollen mit Rückwärtstreten. Mir scheint die Balance auch mit der Tretbewegung der Beine zuammenzuhängen. Kann das sein? HERWIG: Unsere Wahrnehmungssysteme generieren Invarianten aus Beschleunigungen, d.h. aus Bewegungsänderungen. Ruhezustände sind für unser Gehirn also recht informationsarm. Rhythmisches Treten erzeugt zum einen eine Abfolge von Drehmomenten um die Kurbelachse, welche dem Vortrieb dienen, zum anderen aber auch - rechtwinklig dazu gerichtete - Achsen-Kippmonente, die sich aber in der Impulssumme zu Null addieren. Geradeaus ergibt sich daher nicht statisch, sondern als Gradienten-Nullsumme - vielleicht ist das eine Informationsquelle für das Gehirn. Ich denke aber auch daran, daß Sie weiterhin den Gleichgewichtserhalt über Beschleunigungen - die Vortriebskomponente des Tretens also - regulieren, nur in viel kleineren und damit äußerlich kaum noch wahrnehmbaren Intervallen. Das alles fällt im Freilauf weg, bei ruhenden Beinen also. Durch lange Übung ist diese Operations-Effekt-Beziehung zwischen Treten und Gleichgewichtsregulation sicherlich in Richtung Kleinhirnregulation abgestiegen, und sie bedarf keiner bewußten Bewachung mehr. Für diese These spricht die Tatsache, daß das Rückwärtstreten bei weitem nicht den gleichen stabilisierenden Effekt hat. Mit einem automatischen Transfer von Vorwärts- auf Rückwärtstreten ist hier nicht zu rechnen. SEILER hat in seinen Studien zum "Umkehrfahrrad" solche Probleme ausführlich geschildert. Sind Sie eigentlich viel gestürzt? Tragen Sie keinen Helm? REGLO: Nein. Ich bin eigentlich nie gestürzt. Die vorzüglichen Bremsen reichten in der Lernphase immer für einen Notstop. Man fällt danach vielleicht um, wie man aus einem Liegestuhl eben nicht so leicht auf die Beine kommt, wie - entschuldigen Sie, Herr Herwig - von einem Barhocker (ich will mit diesem Vergleich nicht Ihr supergetuntes Rennrad beleidigen). Stürzen fand ich kein Problem, man fällt ja auch nicht tief. Es ist nur manchmal peinlich, wenn man jemandem vor die Füße kugelt, da man sich mit so einem exotischen Teil ohnehin schon exponiert.
HERWIG: Wozu würden Sie dieses Rad denn nun empfehlen?
REGLO: Ihnen empfehle ich es für Studien zur Balanceregulation und vielleicht zum Erdenken von Lehrmethoden (meine Tips zum Erlernen des Flevos habe ich Ihnen notiert - siehe Box 2)
HERWIG: Wozu taugt es sonst noch?
REGLO: Es ist ein Rausch, darauf Aug' in Aug' mit Farnkraut und Kornähren durch Wald und Wiesen zu gleiten - lässig wie im Liegestuhl, die Arme verschränkt, keine enge Rennhose an, nichts drückt. Ausserdem - Liegeräder künden eine neue Kultur des Radfahrens an. Diese Maschine bietet auch motorisch völlig Neues. HERWIG: Das andere klingt so, als ob sie auf Ihrer Rennliege von einem flow in den nächsten fließen - Csikszentmihalyi - Sie wissen. Ich danke Ihnen sehr für dieses Gespräch mit seinen interessanten Einblicken. REGLO: War mir ein Vergnügen. Es interessiert sich sonst selten jemand so intensiv für mich.

Box 2: Tips für die ersten Tritte auf dem Flevo-bike
Vor- und Immer-wieder-Zwischenübung Rollern:
0. Wähle eine leicht abschüssige Bahn und versuche zu rollen. D.h. sitze aufrecht (nicht angelehnt), schleife die Füße auf dem Boden. Bewege den Oberkörper zum seitwärts Balancieren und nutze die Lenkung. 1. Extrem entspannt Platz nehmen. Die Hände nur auf die Griffe auflegen. Niemals heftige Kraft auf den Lenker ausüben. 2. Mit möglichst geringem Pedaldruck antreten. Dazu den kürzesten (kleinsten) Gang einlegen und die Tretkurbeln zum Start senkrecht stellen. 3. Halte den Blick frei voraus auf den Horizont gerichtet. Schau nicht auf Deine Füße oder den Boden vor Dir. 4. Registriere nach Antritt/ Abheben des zweiten Beines unmittelbar, wohin das Rad sich neigen will. 5. Wenn es an das Pedaltreten geht: Arme locker lassen, aber den Rücken in den Schalensitz drücken. 6. In Linkskurven die rechte Schulter zurücknehmen, damit das Rad nicht "in die Kurve fällt" und vice versa. 7. Vor Verengungen der Fahrbahn nicht die Hindernisse anpeilen, sondern die Passagen. Entwirf die Spur immer 10-15 m visuell voraus.

aus dem Buch "Ansichten vom Fahrrad" Herausgeber Becker und Probst, BdWi-Verlag Marburg 1996.
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