Re: Autismus gehört nicht in die Liste?

  • From: "Alexander Gassner" <a.gassner@xxxxxxxxxxx>
  • To: <MobilInBayern@xxxxxxxxxxxxx>
  • Date: Sun, 4 Mar 2012 12:49:24 +0100

Hi Sandra ,

ja eure gemeinsame Mobilität stell ich mir im Detaillnicht einfach vor.
und das Tehma gehört schon dazu.

da sehe ich zu christians aussage
bzgl. Fortschritte aber keinen wiederspruch.
2 Schritte vor, einen zurück.
Probleme mit Rückwärskompatibilität usw.
gibt.s immer.
Hier im Detaill vor deiner Haustür,
treffen diese dich zwangsläufig
und es ist schon in Ordnung, dies zu Thematisieren.

Die Frage, wie unsere Kollegen vor dem Mobilitätstraining / dem Stockeinsatz /
zurecht gekommen sind, habe ich mir auch schon oft gestellt.

Der Stock , ein so einfaches Hilfsmittel,
hätte auch schon vor 2000 jahren erfunden werden können.
Also, wohl eindeutig eine Frage der Haltung zur Behinderung.

Im Kontrast dazu die vergleichsweise komplexen Werkzeuge wie
die Scanner, die Braillezeilen und die Sprachausgaben
mit durchaus vergleichbar durchschlagendem Erfolg.

Alex





-----Ursprüngliche Nachricht----- 
Von: "Sandra Grenzer" <s_grenzer@xxxxxx>
An: <MobilInBayern@xxxxxxxxxxxxx>
Gesendet: Freitag, 2. März 2012 19:50
Betreff: Autismus gehört nicht in die Liste?



Hi all
Doch, das gehört in die Liste!
Ich möchte Euch mal schildern, wie der Straßenverkehr mit einem Autisten
bewältigt wird, wenn man blind ist.
Es gibt X Formen des Autismus, insofern ist das natürlich ein Einzelfall,
evtl. aber nicht uninteressant:
Wenn ich beispielsweise mit meinem Sohn in Lauf die S-Bahn verpasse, weil
ich denke, sie fährt nach Hartmannshof, da sie auf dem Hartmannshofer Gleis
ist und eigentlich Hartmannshofer Abfahrtszeit wäre, aber die Bahn doch nach
Nürnberg fährt!
Also warten wir 40 Minuten. Inzwischen wird der Bahnsteig immer voller und
Pascal kommt dann nach gewisser Zeit mit der Menschenmenge nicht mehr
zurecht.
"Menschenmenge" ist eine bei ihm tagesform abhängige variable Größe. Es gibt
bei ihm solche und solche Tage. Und das war einer der schlechten.

Oder, anderes Beispiel, ich bin noch draußen, er schon drinnen, die Tür
schließt. Ich kann zwar sagen, er soll rum fahren, bis er wieder hier ist
und mich sieht oder an der nächsten Station aussteigen und warten. Ob er es
auch tut, ist eine andere Sache. Denn, das Ziel war ja beispielsweise von
Röthenbach aus Nürnberg. Also fährt er nach Nürnberg und ich plätschere mit
meiner Ansage, wieder herzufahren, völlig an ihm vorbei.

Die Vorsicht beim Einsteigen durch die Bahnsteighöhe und den Spalt
verlangsamt mich evtl. den entscheidenden Sekundenbruchteil.

Das ist mir beinahe passiert, da gab es aber glücklicherweise auch jemanden,
der eine andere Türe blockiert hat.


Es gibt eben nicht nur Blinde und Rollstuhlfahrer, sondern auch geistige
Behinderungen. Und die Kombi aus beiden. Auch solche Kombis sind im
Straßenverkehr unterwegs. Das funktioniert meist ganz gut, wenn man nicht an
einem Ort festhängt und zügig laufen kann und er die Chance hat,
Menschenansammlungen auszuweichen, von denen er sich bedrängt fühlt.

Im Straßenverkehr beispielsweise kann ich mit ihm ohne Probleme von A. nach
B. Er ist ein lebendes Navigationssystem. Nur mit Verkehrsregeln hat er es
nicht. Er kennt sie, wenn er das Ziel vor Augen hat und nur auf das Ziel hin
denkt, vergisst er sie. Deshalb kann ich sagen: Wir müssen zur Bäckerei, wir
müssen da und dort hin, er findet es, ich kann mich meist darauf verlassen.
Verkehrsregeln verantworte ich. An Überquerungen stelle ich meinen Stock vor
seine Füße und halte seine Hand fest oder fasse ihn fester im Blindengriff
am Oberarm. Was er eben gerade zulässt.
Können wir queren, gebe ich sozusagen mit dem wegnehmen des Stockes und der
Lockerung des Griffs den Weg frei.
Heute habe ich die Chance, schon vor Antritt des Weges zu sagen: "Wir müssen
anders laufen, dort bei X ist eine Baustelle". Das versteht er.
Früher hatte ich die Chance nicht. So mit vier oder 5 Jahren. Er schmiss
sich auf den Boden, strampelte und zog die Kleidung aus.
Er konnte aber allerdings wahnsinnig geduldig sein, wenn wir eben nur auf
seinem gewohnten Weg waren. Mitten durch die Baustelle. Wie schnell, war
egal. Hauptsache, der Weg war gewohnt.


Solch eine Führung morgen könnte gut gehen, sie könnte aber auch zur
Katastrophe werden, wenn Pascal hier ist. Da ihm die Menschen zu viel werden
könnten.
Er fährt gern U-Bahn, weil er das Netz liebt. Er kennt alle Umsteiger.
Und alle Haltestellen. Früher hatte er Angst vor der U-Bahn. Und dann ging
das auf den Boden werfen los.
Aber, einmal mussten wir einkaufen und Pascal musste die Türe öffnen, da
Hände belegt. Dann habe ich ihn noch im Internett auf U-Bahn und
Verkehrsmuseum angefixt. Seither liebt er U-Bahnen.
Aber auch da werden ihm die Menschen oft zu viel und er wird laut, ballt die
Fäuste und droht. Dann fahren wir heim.
Er sagt zur U-Bahnstation übrigens "Eisenbahnhöhle" und zum Flughafen
"Lufthafen". Mittlerweile spricht er zwei-wort-Sätze und stereotypen wie
Rainman.
Bis vor 3 Jahren, er ist 14, sprach er gar nicht und das war nicht wirklich
leicht.

Also, so sind wir mobil in Bayern,

sozusagen eher in Nürnberg.

Auch, wenn ein Physiotherapeut in Saulgrub 2003 zu mir sagte: "Blindheit und
Autismus gehen nicht zusammen", es muss und es geht und es wird immer
besser.

Grüßle,

Sandra



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